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Neuer Diagnoseschlüssel für Sarkopenie: "Wir müssen in der Therapie noch präziser werden"
(07.02.2018) Altersbedingter Muskel- und Funktionsabbau, also Sarkopenie, ist ein häufig auftretendes Phänomen in der geriatrischen Praxis. Bisher gab es keinen speziellen Diagnoseschlüssel für dieses komplexe Krankheitsbild in Deutschland. Das hat sich zum Jahresbeginn geändert. Seit dem 1. Januar kann der sogenannte ICD-Code "M62.50" zur Bestimmung verwendet werden. Der Schlüssel ist aufgeführt im Katalog "ICD-10-GM Version 2018" des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI). Privatdozent Dr. Michael Drey (Foto), Bereichsleiter Akutgeriatrie der Medizinischen Klinik und Poliklinik IV des Uniklinikums München, war maßgeblich an dieser wichtigen Einführung beteiligt. Im Interview spricht er darüber, was der neue Diagnoseschlüssel für die tägliche Arbeit des Geriaters, des Hausarztes und auch für den Patienten bedeutet.
Herr Dr. Drey, warum war die Einführung des ICD-Codes Sarkopenie notwendig?
Der neue ICD-Code für Sarkopenie ist das Ergebnis aus über zehn Jahren Forschungsarbeit. Vorher gab es viele unterschiedliche Definitionen und Vorstellungen, wie man dieses Krankheitsbild erfassen soll. Zunächst hat man versucht, es nur an der Muskelmasse festzumachen, ähnlich wie man sich bei der Osteoporose nur auf die Knochendichte fokussiert hat. Wenn da ein bestimmter Wert unterschritten war, galt das als Sarkopenie. Später hat man dann festgestellt, dass das Kriterium Muskelmasse allein nicht aussagekräftig genug ist. Denn es gibt ältere Menschen, die zwar wenig Muskelmasse haben, aber deren Funktionalität noch sehr gut ist. Der neue ICD-Code berücksichtigt beide Kriterien - geringe Muskelmasse und reduzierte Funktionalität, ist also viel spezifischer. 2016 haben zuerst die Amerikaner diesen neuen umfassenderen Diagnoseschlüssel eingeführt. 2017 haben wir mit Unterstützung der DGG den Antrag beim DIMDI gestellt, der nun akzeptiert wurde.
Was bedeutet das für die Therapie von Sarkopenie-Patienten?
Durch die genauere Diagnostik kann auch die Therapie zielgerichteter werden. Es gibt allerdings bisher kein spezielles Medikament zur Behandlung von Sarkopenie. Die gegenwärtige Therapie konzentriert sich auf eine Kombination aus entsprechender Ernährung und Bewegung. Wichtig für Sarkopenie-Patienten sind eine proteinreiche und Vitamin-D-haltige Ernährung. Je nach individuellem Funktionsverlust sollte zusätzlich Kraft- und Gleichgewichtstraining durchgeführt werden.
Wie soll der neue ICD-Code in die tägliche Arbeit der Mediziner integriert werden?
Mir schwebt ein Stufenkonzept vor. Zunächst muss der niedergelassene Hausarzt dafür sensibilisiert werden, da ihm das Krankheitsbild tendenziell weniger geläufig ist als einem Geriater, und er zudem häufig die erste Anlaufstelle des älteren Patienten ist. Ein spezieller Fragebogen könnte dem Hausarzt helfen, Hinweise auf das Vorliegen einer Sarkopenie zu bekommen. Gibt es diese Hinweise, kommen die geriatrischen Zentren ins Spiel. Sie können mit einer weiterführenden Diagnostik die Diagnose der Sarkopenie bestätigen und entsprechende Therapien ableiten und anwenden.
Wie informieren Sie speziell die Geriater über den neuen Sarkopenie-Code?
Wir wollen sämtliche Kanäle bedienen, um die Einführung des neuen Sarkopenie-Codes zu kommunizieren - beispielsweise über die Fachgesellschaften, Kongresse und Fachzeitschriften. Das wird nicht von heute auf morgen passieren, aber so wird die Information langsam aber sicher im medizinischen Alltag ankommen.
Was wird in Zukunft noch passieren, um das Krankheitsbild Sarkopenie besser diagnostizieren und behandeln zu können?
Wir müssen in der Diagnostik und Therapie noch präziser werden. Dazu bedarf es weiterer Forschung. Außerdem wollen wir die Einführung mit einem Forschungsprojekt begleiten, um den Nutzen des neuen Codes zu messen. Da aber wie gesagt einige Zeit vergehen wird, bis der ICD-Code in der Praxis richtig angekommen ist, ist das wahrscheinlich erst ab 2019 sinnvoll. Auch in der Sarkopenie-Therapie sehe ich noch viel Nachholbedarf: Es gibt zum Beispiel noch viel zu wenig adäquate Bewegungs- und Trainingsangebote für die Ü-80-Jährigen in der Praxis.
Foto: Fotostudio Unger
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