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03. November 2020

Krebstherapie: „Geriatrisches Assessment ins Tumorboard integrieren!“

(03.11.2020) Die Therapie von Krebserkrankungen bei älteren Patienten kann wesentlich verbessert werden, wenn Geriater an der Behandlung beteiligt sind. „In einem Drittel aller bekannten Untersuchungen sprechen medizinische Experten in den sogenannten Tumorboards andere Empfehlungen aus, wenn zuvor die Ergebnisse eines geriatrischen Assessments mit einbezogen wurden“, sagt Professor Gerald Kolb (Foto). Er leitet die Arbeitsgruppe „Geriatrische Onkologie“ der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) und der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) zusammen mit dem DGHO-Vorsitzenden Professor Carsten Bokemeyer. Kolb ist zudem Chefarzt der Geriatrie am Bonifatius-Hospital Lingen. Das geriatrische Assessment hat sich als Instrument in der Praxis bewährt – es erfasst psychosoziale und funktionelle Fähigkeiten sowie Defizite von älteren Patienten. Im Interview spricht der Mediziner darüber, warum das Instrument nun auch in der Tumortherapie angewendet werden sollte, wie es zu abweichenden Therapieempfehlungen kommt und warum es einen großen Bedarf an onkologischer Forschung mit älteren Patienten gibt.

Herr Professor Kolb, das geriatrische Assessment sollte Teil des Tumorboards sein – warum?
Ebenso wie die genetischen und molekularbiologischen Befunde zum Tumor muss bei älteren Patienten auch die funktionale Betrachtung Teil einer Risiko-Nutzen-Einschätzung sein. Das ist entscheidend für die passende Therapiewahl. Und deswegen muss unsere Expertise Platz finden in den Tumorboards, also den Tumorkonferenzen der beteiligten Ärzte.

Weshalb sind Geriater dann nicht schon längst Teil dieses interdisziplinären Boards?
Das ist die entscheidende Frage, mit der wir uns nun inhaltlich beschäftigen müssen. Ein Grund liegt sicher darin, dass onkologische Abteilungen zumeist an Häusern der höheren Versorgungsstufe und der Maximalversorgung eingerichtet sind, was auch sinnvoll ist. Die geriatrischen Abteilungen und die damit verbundenen altersmedizinischen Fachkompetenzen finden sich allerdings eher an kleineren Häusern. Das ist ohnehin nicht immer besonders vorteilhaft.

Bringen Sie uns gerne auf den aktuellen Stand: Inwiefern fallen Therapieempfehlungen eines Tumorboards anders aus, wenn Ergebnisse eines geriatrischen Assessments mit einfließen?
Hier hilft uns die Wissenschaft: Unter anderem konnte in diversen Registerstudien gezeigt werden, dass die funktionelle Betrachtung des geriatrischen Assessments Einfluss auf die Therapie hat, also auf Therapieauswahl, Eskalation oder Deeskalation der Therapie. Das heißt, es gibt praktische Vorteile, wenn Geriater und die Methoden der Geriatrie mit einbezogen werden. Und das kommt alles dem Wohle des Patienten zugute. Es könnte in der Onkologie und der Geriatrie aber natürlich noch wesentlich mehr Forschungsarbeit mit geriatrischen Patienten geleistet werden.

Warum sind ältere Patienten in onkologischen Therapiestudien immer noch unterrepräsentiert?
Ältere Patienten sind nicht nur in onkologischen Therapiestudien unterrepräsentiert, aber dort auch. Dies ist aber eine wissenschaftliche Herausforderung. Wir haben festgestellt, dass die Studiendesigns unserer Therapiestudien oft nicht zu unseren älteren Patienten passen1. Es liegt also nicht an den Patienten, sondern an den Studienentwürfen und eben jenen, die sie formulieren.
 
Warum wird vielerorts noch eher das numerische Alter eines Patienten zur Behandlungsprognose herangezogen, stattdessen Funktionsstatus – inklusive Mobilität und Kognition?
Kurz gesagt: Weil es – scheinbar – einfacher ist. Aber eben nicht zielführend. Hier müssen wir in vielen Bereichen noch sehr viel mehr Überzeugungsarbeit leisten.

Wie sollte nun ein geriatrisches Assessment in die onkologische Entscheidungsfindung integriert werden?
Am besten über ein fixes und bewährtes Format wie das Tumorboard. Genau dort gehört es hin. In diesen Tumorkonferenzen kommen Ärzte aus verschiedenen medizinischen Fachrichtungen zusammen, um die Behandlungsplanung abzustimmen.

Welche genauen Aufgaben kann dann das geriatrisch geschulte Personal dort übernehmen?
Hier sollte der Schwerpunkt auf der Durchführung des mehrstufigen geriatrischen Assessments liegen. Es beginnt mit einem multidimensionalen Screening, dem folgt das sogenannte Basis-Assessment. Dabei werden Kognition, Emotion, Selbsthilfefähigkeit sowie Mobilität und Motorik beurteilt. Abschließend können Beeinträchtigungen vertieft abgeklärt werden. Das geriatrisch geschulte Personal kann die Ergebnisse dann auch zur Besprechung im Tumorboard aufbereiten.

Inwiefern stehen diese Aufgaben in Konkurrenz zu anderen Disziplinen, die im Tumorboard vertreten sind?
Da gibt es keinerlei Konkurrenz. Vielmehr ist es eine sinnvolle Ergänzung dessen, was wir heute in der Onkologie unter ‚personalized therapy‘ verstehen, also der personalisierten medizinischen Therapie.

Welche Rolle sollten zukünftig im Rahmen der Tumorbehandlung „weiche“ Risikofaktoren, wie die Patienten-Fitness, spielen?
Die sogenannte Fitness – also die Beschränkung auf die Frage, ob der Patient fit ist oder nicht – ist sicherlich ein weiches Kriterium. Die Funktionsanalyse per Assessment hingegen ist vergleichbar eher „hart“ – das heißt, belastbar und damit vergleichbar mit anderen Parametern, die heutzutage unabdingbar sind für eine biochemische, tumorgenetische und personalisierte moderne Betrachtung.

Wie kann nun also flächendeckend ein geriatrisches Assessment in Tumorboards integriert werden?
Realistisch kann das nur auf einem Weg gelingen: Die Durchführung des Assessments und die Beratung der Kollegen im Tumorboard muss auskömmlich vergütet werden. Dies geschieht über eine entsprechende Codierung und Kalkulation der dazu notwendigen Ressourcen gegenüber dem Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus. Dieses muss die ökonomische Relevanz des geriatrischen Assessments erkennen. Immerhin führt unser Vorgehen dazu, dass eine teure Übertherapie oder eine ineffiziente Untertherapie vermieden werden kann. Ein gutes Beispiel ist hier die Erfolgsstory der frührehabilitativen geriatrischen Komplexbehandlung im Bereich der Alterstraumatologie.

Welche konkreten Schritte empfiehlt nun die Arbeitsgruppe „Geriatrische Onkologie“ der DGG?
Wichtig ist uns: Das geriatrische Assessment muss ins Tumorboard integriert werden! Wir ermuntern alle Geriater und Onkologen, endlich mit der interdisziplinären Zusammenarbeit in Tumorboards zu beginnen. Kliniken, an denen sowohl geriatrische als auch onkologische Fachabteilungen etabliert sind, sollten verstärkt teamorientiert arbeiten und diese Kooperation auch in die Kostenkalkulation der Behandlungen integrieren. Das muss über die weit mehr als 200 Kalkulationskrankenhäuser in Deutschland geschehen – hierunter sind auch Häuser mit onkologischen und geriatrischen Abteilungen –, die die tatsächlich angefallenen Behandlungskosten an das zuständige Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus weitergeben. Als Arbeitsgruppe der DGG setzen wir uns hierfür stark ein und bauen auf die Unterstützung des Bundesverbandes Geriatrie, der gerade im Bereich der Kostenkalkulation über eine hohe Expertise verfügt.

link iconLesen Sie im deutschen Ärzteblatt auch den Artikel „Geriatrisches Assessment: Integration ins Tumorboard“.

1 Kolb G, Rehmann P, Karbe-Voigt N, Wöstmann B (2015) Are old patients not fit for clinical trials, or do clinical trials not fit to old patients? – A survey in 35 pharmaceutical companies. European Geriatric Medicine (EGM) 6:354-357

 

Foto:
Prof. Dr. Dr. Gerald Kolb, Quelle: Bonifatius Hospital Lingen

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